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#98 Hörbuch-Special: Hans Joachim Köhler - “Pferdekenner & Fehlergucker” Teil 2

In dieser Special-Folge des wehorse-Podcasts hörst du den zweiten Teil des Hörbuchs von Hans Joachim Köhler.

Wie kein Zweiter erkannte Köhler die Stärken und Schwächen von Pferden und wusste sie genial gegeneinander abzuwägen. Seine Sprache lässt den Zuhörer in die Gedankenwelt dieses großen Pferdekenners eintauchen. Keine leichte Kost, aber sie trifft immer den Punkt und bringt einem mit viel Humor die hohe Kunst der Pferdebeurteilung nahe. Hans Joachim Köhler war ein Hippologe von Weltgeltung, Buchautor und Begründer der hannoverschen Reitpferde-Auktionen.

Podcast Transkript

Dieses Transkript wurde durch eine KI erstellt und nicht gegengelesen.

[SPEAKER 2]Herzlich Willkommen zum wehorse Podcast. Mein Name ist Christian Kröber und hier kommt jetzt der zweite Teil von Pferdekenner und Fehlergucker von Hans-Joachim Köhler, eingesprochen von Hans-Heinrich Isenbarth, ein absoluter Klassiker, den wir aus unserer Asservatenkammer ausgegraben haben und kostenfrei zur Verfügung stellen. Falls du jetzt erst neu dazugekommen bist, empfehle ich dir auf jeden Fall den ersten Teil dieses Hörbuchs, das ist die vorangegehende wehorse Podcast Folge anzuhören. Wir steigen jetzt ein mit dem zweiten Teil. Viel Spaß.

[SPEAKER 1]Mängel und vermeintliche Fehler Die Flugzeugproduktion basiert zwar auf einer ständigen Verbesserung technischer Facts, ist aber von Grund auf ausgerichtet nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten der Natur, in diesem Fall der Vogelwelt. Die Entwicklung des Pferdes als Kulturrasse zum Zweck menschlicher Nutzung hat sich gleichermaßen überwiegend nach natürlichen Gesetzmäßigkeiten vollzogen. Erst mit dem Einsetzen einer planmäßigen Tierzucht, also seit rund 100 Jahren, hat man mehr und mehr naturhafte Gegebenheiten zurückgedrängt und durch Züchtungskunst zu verbessern versucht. Diese Kunsteingriffe gegenüber der Natur haben viel Positives gebracht, aber zugleich auch Irrtümer, die sich aufgrund eines übertriebenen Formenkults bemerkbar machen. Die hieraus resultierende Auffassung »so und nicht anders« hat sich zu sehr als ein Menschenwerk erwiesen, das das Pferd einem Haustier und Schaustück nähergebracht hat, als dies im Interesse des reitenden Volkes liegen konnte. Naturgegebene Zweckmäßigkeiten wurden als Fehler bekämpft. im Schausinn idealisiert oder in bestimmten Verwendungsrichtungen eingeengt. So stellte man den Begriff der Einheitlichkeit über das individuell Unterschiedliche und sah dies als den höchstmöglichen züchterischen Erfolg. Man sah es auch als züchtenden Fortschritt an, in die eingebogene Naturkonstruktion der Rückenlinie einen möglichst geraden Strich zu ziehen. und nahm der Kruppe die Geneigtheit gleichsam mit einem Lineal, sodass die horizontale Kruppenform mit hohem Schweifansatz entstand. In der stolzen Feststellung, ha, es ist erreicht, welcher Ausdruck hier um so mehr passend erscheint, als er den gezwirbelten Bart des Kaisers Wilhelm betraf, der in ähnlicher Weise der Bart dem protzigen und etwas ordinären so nahe stand, wie der unschön hochgetragene Schwanz aus der horizontalen Kruppe des seinerzeit formvollendeten Pferdes. Wenn der Rücken nicht gerade war, die Kruppe nicht horizontal, der Schweif nicht fasanenhaft getragen, dann waren dies Fehler. Und man ging weiter. Man normierte die Winkelmaße der Extremitäten bis hinunter zur Fessel, legte sich auf Rippentonnigkeit fest, verkürzte die Beine bis zur Gehwarze, forderte die Brust eines Löwen, und allem anderen voran, den korrekten Gang ohne Zähigkeit, Außenverstelltheit und Engspurigkeit. Nun, dies war nicht immer so extrem, und inzwischen hat sich da auch vieles schon zum Zweckmäßigeren gewendet. Aber es war so, und es ist kein Zweifel, dass manches auch heute noch haften geblieben ist. Was die letzte Konsequenz, ausschließlich Konstruktionsmerkmale in den Mittelpunkt der Pferdebeurteilung zu stellen, ebenso verhindert, wie die in diesem Zusammenhang notwendige Überprüfung vermeintlicher Fehler und der Gewichtung von Vorzügen und Mängeln. Bei alledem sollte eins beachtet werden, der Pferdekenner hütet sich vor dem Wörtchen zu. Und er wendet es nur an, wenn er sich von seiner Berechtigung überzeugt hat. Andernfalls irrt er womöglich und diskriminiert in unverantwortlicher Weise. Dafür gibt es allerlei Möglichkeiten. Zu matt in der Niere. Ja, das bedeutet doch, dass hier ein Fehler konstatiert wird. Welcher Fehler liegt denn vor? Ein formalistischer oder ein wirklicher? Lediglich eine Abweichung von der Norm dürfte reine Geschmackssache sein. Ein Fehler liegt nur vor, wenn unter dieser optischen Erscheinung zu kurze Dornfortsätze, die nicht ausgleichsweise breiter und stärker sind, Tragfähigkeit und Zusammenhalt mindern. So muss eine flache Nierenpartie durchaus kein Mangel sein. Genauso wenig wie eine Stramme. Es sei denn, dass die Form der Dornfortsätze ein Spannungsfeld erzeugt oder eine zur Mitte sich zuspitzende Oberfläche der Nierenpartie bewirkt, die nicht nur unschön wirkt, sondern auch den Eindruck von Schwerfutterigkeit und mangelnder Geschlossenheit entstehen lässt. Zu lang, zu weich in der Fessel, also ein Fehler? Nein, nicht ohne weiteres, meistens sogar ein Vorzug. Mit Sicherheit ein Merkmal für hohe Elastizität beim Auf- und Abfußen mit Auswirkungen auf das Gefühl im Sattel. Bleibt die Frage der Haltbarkeit. Hier spielt die Prägung der Fesselköpfe, über die die Bänder und Sehnen laufen, eine Rolle. Flache Fesselköpfe können gewisse Bedenken aufkommen lassen bei mangelnder Härte. Die Rennleute erkennen der langen, weichen Fessel besonders gute Leistung und Haltbarkeit zu. Viele große Turnierleistungspferde hatten langwährend große Erfolge in dieser Fesselform. Die lange, steile Fesselung dagegen ist eher stelzig als elastisch und somit noch bedenklicher als die kurze, stramme Fesselform, deren Haltbarkeit bei allem Elastizitätsverlust denn doch noch sicherer ist. Harmonie und Ästhetik Es gibt zwar kaum jemanden, der nicht für Harmonie wäre oder für Ästhetik. Nur ist man bisweilen zu zweifeln geneigt, ob auch alle dasselbe verstehen unter diesen Begriffen. In der Pferdebeurteilung lassen sich die Harmonieauffassungen am leichtesten im Zusammenhang mit Konformität auf einen Nenner bringen. So geht eine gesichtsgrobe und gesichtsausdruckslose Kopfpartie nicht konform mit einem in sich harmonischen, eleganten Körper. Grobes Fundament und leichter Körper, ein schwerer Körper auf sehr feinem Fundament, ebenso wenig. Vor allem müssen die Proportionen der Oberlinie stimmen. Genickpartie, Halslänge, Sattellage, Rücken und Kruppe in ausgewogener Verhältnismäßigkeit zueinander. Nicht harmonisieren eine pompöse Vorhand und eine etwas mickrige Hinterhand. Beinlänge und Rumpftiefe sollen in richtigem Verhältnis zueinander stehen. Langes Bein und niedriger Rumpf, von Herz zu Widerrist, passen nicht gut zusammen. Genauso wenig eine lang behuste, großzügig dimensionierte Kruppe zu einem kleinen Schulterchen. Ein schön angesetzter, runder Hals steht in deutlichem Widerspruch zu einer geraden Kruppe. Harmonisch einfügen kann sich sogar ein großer Kopf, wenn ihn ein großer, mächtiger Körper über einen starken Hals trägt. An dieser Stelle soll auch der Schönheitsbegriff zur Sprache kommen. Schönheit kann eigentlich nicht umstritten gesehen werden. Schönheit hat mit Ebenmaß zu tun, mit Ausdruck vor allem und mit Konturen. Die Art des Ausdrucks, das Auge, spiegelt Seele und Geist. So kann also auch ein Gesicht schön sein, auch wenn es nicht besonders fein ist. Im Gegensatz dazu gibt es hübsche Pferde, denen man eine gediegene Schönheit mangels Bedeutung nicht immer zusprechen kann. Dann gibt es noch Schönlinge. Darunter sind hübsche, hohle Pferde zu verstehen, die weder Geist besitzen noch Leistungsfähigkeit möglich machen. Der Slogan »Zu schön, um wahr zu sein« ist eine beurteilende Kritik, die ohne weiteres ausgesprochen nicht selten einer Revision bedarf. Zwischen Vermutung oder leichtfertiger Verallgemeinerung und Tatsächlichkeit liegt eben immer im Leben der Auftrag zur Vergewisserung. Ästhetik, der Gegenbegriff von Disharmonie, Schmuttlichkeit, sich gehen lassen, ordinärem Aussehen oder Gehabe. Aufs Pferd bezogen unterscheiden wir Boxen, Schweine und solche Individuen, die sich bei jeder auch unpassenden Gelegenheit wie aus dem Ei gepellt präsentieren. Fette Pferde wirken ebenso unästhetisch wie magere. Sehr hochgetragene, womöglich noch schiefe Schweife wirken in dieser Art ordinär. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn eine weite Afterkuhle über fassbeinig schräg gelegenen Hinterextremitäten das Zündloch unübersehbar zur Schau bieten. Von diesen Darstellungen abgesehen, steht das ästhetische Moment zwischen Reiter und Pferd im Vordergrund dieser Betrachtung. Harmonie und Eleganz sind hier die tragenden Momente. Vernachlässigungen erlebt man überall, nicht zuletzt leider auch in der großen Dressurreiterei, wo gewöhnliche Punktesammler gelegentlich den Ästheten vorgezogen werden, obwohl gerade Letztere dem Reitsport eigentlich das Flair geben und die menschliche Vorstellungswelt so ungemein bereichern. Es ist nun mal so, Ästhetisches steht der Reiterei besser an. Poesie Pegasus ist hier nicht gemeint, wohl aber eine Art Zauber, der den Reiter im Sattel umfangen kann auf feinfühligem, aufmerksamen Pferd in leichtfüßiger Federkraft. Sein unbekümmertes Selbstbewusstsein beflügelt den vielleicht gar nicht poetischen Menschen auf schwingendem Rücken, lässt ihn Sorgen und Verspanntheit vergessen. Des Pferdes Feinsinnigkeit bemerkt vor ihm einen Wechsel des Wildes, beobachtet aufmerksam etwas sich Bewegendes am Horizont, staunend zum Halten kommend oder ohne seinen Bewegungen Einhalt zu gebieten. Ähnliches Feinempfinden spürst du im Umgang auch beim Reiten zwischen vier Wänden, und empfindest es wohltuend, wirst glücklich darüber, wie das Pferd auf dich eingeht, ohne sich unterwürfig nach dir zu richten. Eingeht auch auf die Musik, die dich hörbar begleitet, wenn sie nicht gar lautlos mitschwingend im Knirschen des Leders und dem Abpusten deines Pferdes. Auch solches ist Inhalt einer Beurteilung des Pferdes, dieweil es eben auch gänzlich poesielose Exemplare dieser Gattung gibt. Poesielosigkeit Um alles ganz und gar verständlich zu machen, soll hier auch noch die Kehrseite des vorhergehenden Themas beleuchtet werden. Wenn man sich schon morgens nicht freuen kann, weil einen das solide Gebrauchswert dämlich begrüßt, fehlen einem schon mal drei Groschen an der Mark. Die sind schwer wieder reinzuholen, zumal dann, wenn wenig Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei dem Haustier, das sich überdies noch im Mist gewälzt hat, die Sonne durchkommt. Die vier strong legs, an denen nichts zu tadeln ist, machen die Sache auch nicht besser. wenn eine dieser Extremitäten auf zartem Menschenfuß landet. Beim Aufsitzen mildert sich wenig, wenn Mungo, ob eines plötzlich visitierenden Hundes, einen Trompetenstoß loslässt und gleichzeitig den Zagel hochreißt, dessen gut verlesenes Langhaar sich dem Reiterface wie ein Helmbusch über die hohe Stirn entfaltet. Wenn das dumme Stück dann breitbeinig Äpfeln vom Hof schleicht und plötzlich kehrt macht, weil ein vorbei wandelnder Geheimrat artig, aber stoßartig den Hut zieht, ist ein Gutteil der Morgenrunde schon dahin. Es bleibt bedeckt und wolkig, wenn eines der erstklassig geformten Vorderfußwurzelgelenke plötzlich einknickt und stolpernd der geschmeidigen Reiterhüfte einen ernsthaften Stoß versetzt. Während der lange Zügel bei dem Gerumpel fast vollständig entgleitet, bleibt der zweite Fluch des Morgens nicht aus. Der feinsinnige Fuchs, der muffelig weiter dahin geht, ohne dass er temperierten Fleißes dahin wandert, fühlt jetzt einen Knuff mit den Schenkeln. Zwei Sporen, zack, von jeder Seite, und einen Arret der Reiterhand. Dies soll ihn mit Leben, soll ihn mit Geist erfüllen. Dies soll ihn mit Leben und mit Geist erfüllen, aber er muckt bloß kurz auf und trottet weiter, wenngleich für einige Meter beschwingt er. Vor einer Wasserpfütze bleibt er stehen. Er hat einen willkommenen Anlass gefunden, seinem Wesen die Treue zu halten. Lasst mich nur in meinem Sattel gelten, mag der Reiter hoffnungsvoll gedacht haben, denn es war Goethejahr. Stattdessen kam der nächste Fluch, und die Gerte hob sich voll aus dem Arm, aber das kannte Mungo schon, senkte seitlich sein unkluges Haupt und sprang wie ein Klotz zur Seite. Eine schadhafte Bandscheibe hätte ein böses Vergnügen gehabt. Dafür lag aber die Gerte im Wasser. Der Reiter saß ab, zog den Zügel vorwärts, Mungo denselben rückwärts. Von morgen ging weiteres dahin. Ein Blick auf die Uhr gemahnte Rückkehr im leichten Trab. Trab war’s, aber es war nicht leicht. Auf der Hand türmten sich Zentner. Und weil der Fuchs sich freute, dass es stallwärts ging, polterte er los und missachtete alle Arten, erst Beherrschter, dann Instaburgernder Paraden. Wenn Binding den geritten hätte! Kapitel 4 Gebäude und Konstruktionsmerkmale Alle Gebäude galoppmarsch. Es ist bei vielen Pferdebeurteilern geradezu eine Manie, das zu bewertende Objekt vor allem blank an der Hand als Gebäude vor sich aufbauen zu lassen. Erst und eigentlich bei dieser Art der Konfrontation fühlen sie sich sicher und wissen doch oft nicht, was sie tun, wenn sie in gewichtiger Note, Klammer auf Gebäude, Klammer zu, die Waagschale belasten. Sie richten sich dann gern und vermeintlich abgesichert nach einem Schema der Schablone. Für Individualistisches, Statisches und Konstruktionelles ist dann wenig Raum. Obwohl doch gerade diese Gesichtspunkte die eigentlichen Qualitätsmerkmale sind im Rahmen eines ohne sie starren Gebäudes. Exterieur Wer sich lange und intensiv mit der Pferdebeurteilung beschäftigt, schließt natürlich eine Exterieurbetrachtung nicht aus, lernt jedoch, diese äußeren Formen als das zu sehen, was sie sind, als Erscheinungen unter verschiedenen Möglichkeiten, als äußere Staphase mit mehr oder weniger ansprechenden Merkmalen, als äußere Hülle, die um ihrer Selbstwillen allein eben nur etwas Äußerliches aussagen kann und erst dann wertig wird, wenn das Denkmal lebenserfüllt sich bewegt, einen Reiter trägt und dabei offenbart, inwieweit Äußeres so oder so zur Geltung gelangt, in welcher Weise das Exterieur mit eigentlichen Reitqualitäten überhaupt harmonisiert. So gesehen ist die Gebäudenote gleichgültig. Ob in einer Prüfung, Prämierung oder in privater Bewertung, fixiert immer dann eine Anmaßung mit hinrichtenden Folgen, wenn sie im Voraus gegeben wird. Selbst ein ausgekochter Routinier kann angesichts blanken Exterieurs lediglich mutmaßen. Auch ihm bleiben Irrtümer nicht erspart, wollte er sich auf eine Gebäudenote verlassen. Er denkt doch gar nicht daran, dies zu tun. Seine Festlegung erfolgt erst dann, wenn er das Pferd alles in allem wirklich kennengelernt hat. Denn erst dann kann er dessen Qualität ermitteln und ein fundiertes Urteil abgeben, eine gerechtfertigte Rangierung vornehmen. Das steht nun an der Hand, Pferd auf Pferd, zu einer ersten in Augenscheinnahme vor der Auswahlkommission der Pferdenauktionen und zur Feststellung der Personalien. Imponierende Denkmäler, weniger monumentale Individuen, grobe Typen, leichte Katzen und krumme Hunde. Aber dann kommen sie an der Hand auf den Ring zur Grobsortierung wer weiter in Augenschein genommen werden soll, und da erlebt man schon die ersten Überraschungen. Denkmäler werden holzig, Superkorrekte werden hohl, unscheinbare Stehpferde zeigen sich monumental, Derbe werden noble und interessant, und leichte Katzen gewinnen an Bedeutung. Krumme Hunde zeigen vereinzelt wertvolle Konstruktionsmerkmale. Da wird man dann sehr vorsichtig in erster Selektion. Denn im Freilauf, beim Springen der Präsentation unter dem Reiter, im reiterlichen Fremdtest und im abschließenden Vergleichsring an der Hand, da weiß man, sind nach beiden Richtungen weitere Überraschungen möglich. Wie oft erscheint das Angebot nach erstem Augenschein interessant und besonders gut? Und dann bleibt schließlich kaum etwas Begehrenswertes übrig. Umgekehrt, nach erstem Eindruck nicht viel drin, entpuppen sich dann mehrere Pferde als Eliten. Auf dem Ring und im Freilauf unterscheiden sich die Manieren, das sich geben. Hier kommen schon wieder neue Gewichte auf die Waage, Patentes drückt Büffeliges, Selbstbewusstes, Furchtsames oder Zackiges. Vom Springen dabei einmal ganz abgesehen. Mancher eckt überall an, fegt mitten durch die Kommission, rumpelt halb auf der Bande entlang. Mancher bewegt sich virtuos, behält die Übersicht, ist immer Herr der Lage, mancher Exterieurkönig wird zum steifen Bollermann. Manch anderer ist offenbar weit mehr, als er schien. Dem steht man dann nachdenklich vis-à-vis. Weitere Eindrücke bringt das Präsentieren unter dem Reiter. Erneut verschieben sich Wertvorstellungen. Manche bestätigen sich. Zusätzliche oder abändernde Erkenntnisse liefert das Testreiten durch die mitgeführten Bereiter. Da sitzt dann der eine, der andere ab mit mehr oder weniger gutem Gefühl nach dem, was er vor sich hatte. was er von der Rückenarbeit verspürte, von der Anlehnung und Durchlässigkeit, von der Einwirkungsmöglichkeit mit dem Schenkel, von der Fixierbarkeit der Hinterhand, von Elastizität und Geschmeidigkeit. Nach diesem Sehen, Beobachten und Fühlen werden die einzelnen Bilder schärfer. Aber auch erst jetzt, Ärgerlich, wenn dann ein Tester mit allen Zeichen der Abwehr von einem Exterieurarmor absitzt und der Kommission klar macht, dass das Gefühl auf dem eigentlich schon gekürten schauerlich sei. Der Rücken wie ein Brett, die Anlehnung zum Maul halbseiden und die Annäherung des Schenkels schier unmöglich. Demjenigen, dem solches und ähnliches über lange Zeiträume fortlaufend widerfährt, lernt ganz zwangsläufig, den Begriff Exterieur sehr viel kleiner zu schreiben, als dies vielfach geschieht. Er setzt ihn nicht, wie auch in den Lehrbüchern üblich, an den Anfang der Beurteilung, sondern ans Ende. Und dies nur zu dem Zweck, gravierende Korrektheitsabweichungen daraufhin aufs Korn zu nehmen, ob sie in Abwägung zur Allgemeinqualität verziehen werden können oder nicht. Wenn sich dabei ein so erheblicher Mangel herausstellt, dass man ihn nicht vergeben kann, weil er sich sichtbar auswirkt oder mit größter Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit negativ auswirken wird, dann allerdings und nur dann, ist ein Materialfehler zu konstatieren, dessen Träger dann auch nicht mehr mit 1,0 oder 1,5 Notensenkung noch irgendwie in eine Reihung gebracht werden kann, sondern schlicht eliminiert werden muss. Bei einem Derby-Turnier in Hamburg konkurrierte ein im Erscheinungsbild bedeutender Fuchs von Helouan, dem Vollblüter, im Championat. Er war allen anderen Pferden in Typhaltung, Points und Bewegungsablauf überlegen. Er strahlte vornehme Anständigkeit aus und brillierte in souveräner Manier, und Trockenheit und Härte waren unverkennbar. Aber von rechts war der Fuchs nicht unerheblich nach außen verstellt. Da meinten zwei Richter, dieser Fehler stufe ihn einige Plätze zurück. Gustav Rau jedoch, als Chefrichter, stellte an seine Kollegen die Frage, halten sie die Verstellung für so schwerwiegend, dass der Fuchs dadurch in seinen Bewegungsablauf behindert wird? Nein, das haben wir ja gesehen. Aber diese abweichende Stellung ist doch nun mal ein grober Materialfehler und womöglich hält das Pferd auch nicht lange. Da sagte der große Gustav, wenn Sie das so sehen, dann dürfen wir ihn gar nicht mal platzieren. Dann muss eben einer von diesen Stinknormalen gewinnen. Ich aber sehe in dem Fuchs unbedenklich den klaren Sieger. Und wenn Sie den Verstellungsgrad nicht als erheblichen Mangel begründen können, dann gewinnt der Edle. Was er tat! Natürlich gab es viele Kluge am Rande. Haben sie denn das gar nicht gesehen? Ha, die Richter hatten! Der großartige Liostro von Der Löwe, das imponierende Olympia- und Grand Prix-Pferd seiner Zeit, war als junges Materialpferd nur selten Sieger. Bei Kennern. Im Übrigen lief er häufig ferner oder wurde mittendrin eingeschuft, um nichts falsch zu machen. Er stand vorn nicht korrekt und warf einen Unterschenkel seitlich etwas aus dem Vorderfußwurzelgelenk. Demnach war er nicht korrekt. Demnach hatte er einen groben Mangel. Da das jeder sah, sahen auch die Richter selten darüber hinweg. Vermutlich gab es in der Gebäudenote trotz überragenden Points deshalb eine Vier oder ähnlich. Schritt, Trab, Galopp, mit Sicherheit Bewegungen, wie der Mensch sie nicht besser züchten kann, also Neun oder Zehn. litten notenmäßig auch noch unter dem Korrektheitsmangel von vorn gesehen, und so zauberte man aus all dem Optimalen seiner herausragenden Qualität als Reit- und Leistungspferd eine Materialbewertung, die nicht Fisch noch Fleisch war. während der große Internationale bis ins hohe Alter frisch und elastisch und in unübertroffener Aussage Kenner und Laien bezauberte. Da fragt man sich eben, mit dem Titel dieses Buches des Öfteren, womit es Züchter und Pferdebesitzer verdienen, die an ihren Nachwuchspferden sezierende Kräfte am Werk zu sehen, die mit einer Exterieurschablone bewaffnet all das in einzelne Teile zerlegen, was nur zusammengesehen Wesentliches ausmacht und ein begründetes Abwägen ermöglicht. Matterrücken. Mit diesem Urteil haben Theoretiker lange genug Schaden angerichtet, die Reiterei irregeführt und die Zucht davon abgehalten, über konstruktionelle Probleme ernsthaft nachzudenken. Dieses Urteil suggeriert matt als schwach und nimmt eine optische Abweichung von der Norm zum Anlass, einen Fehler zu erkennen, Und diese Annahme, denn eine wirkliche Erkenntnis ist es ja nicht, als Fehler zu verkaufen. Da hat irgendwann mal einer ein Lineal genommen und ganz einfach eine gerade Linie gezogen von der Wirbelsäule am Kreuzbein nach vorn hin gegen den Widerrist in der Waage. Und hat dann verkündet, dies ist die ideale, die korrekte Rückenlinie. Kein Widerspruch. So wurde mit dieser linearen Formation zugleich die hohe, nicht selten auch harte Oberlinie sanktioniert, die den Reiter unelastisch hoch über das Pferd setzt. Heute ist man wenigstens teilweise soweit, diese Formalistik konstruktiver zu sehen. die Elastizität mehr in den Vordergrund zu stellen, die etwas eingetiefte Sattellage richtig zu würdigen und die Tragkraft an anderen Faktoren zu messen als an einer starren, vermeintlich besonders kräftigen Linie. So mancher Beurteilungsmodus basiert heute noch auf Theorien, die auf das Wirtschaftspferd zugeschnitten waren und das Reitpferd in etwas edlerer, eleganterer Typisierung unter diesem Siegel mitlaufen ließen. Aus einer warmblütigen Wirtschaftszucht werden immer so viele leichte Produkte abfallen, wie sie die Reiterei benötigt. Das Reitpferd war demnach Abfallprodukt, wurde also nicht gezielt gezüchtet und so war es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, wie viele von ihnen wirkliche Reitpferde waren und welche nur so aussahen oder taten als ob. Aus dieser Periode hat sich auch das Evangelium von erheblicher Breite und voller Rippigkeit erhalten, wie auch der mit Rumpftiefe in sich leicht verwechselte Begriff der Kurzbeinigkeit. Es ist verständlich, dass bei der Variationsbreite und Kompliziertheit der Beurteilungsfaktoren und ihrer Zusammenhänge Dogmen aufgestellt wurden und verteidigt werden. damit festgefügte Spielregeln einem Beurteilungsschema Halt geben. Daraus erklärt sich auch der Widerstand so vieler Menschen, diesen gleichsam auszementierten, ihnen Sicherheit gebenden Boden zu verlassen. Dass die Breite eines Reitpferdes ihre Grenzen darfindet, wo sie zu Schwerfälligkeit führt, also eine Leichtbeweglichkeit einschränkt oder unterdrückt, ist eigentlich eine genauso zweckbestimmende These wie umgekehrt die Lesart, dass sich sogenannte Schmalheit erst dann negativ auswirkt, wenn sie organische oder konformative Störungen verursacht. Dabei wird die Hinterhand zurecht leichter betroffen sein können, als die Brustformation, deren Ausmaße man allzu gern möglichst gewaltig sehen möchte. Ohne echt zu bedenken, wozu das überhaupt gut sein soll. Man braucht doch nur einmal Umschau zu halten in der Leichtathletik. Ob da vor allem wirklich nur brustgewaltige Sportler mit breiten Ärschen des Lorbeers teilhaftig werden. Bei den Kugelstoßern oder Hammerwerfern allerdings wird man diese gewaltigen Dimensionen finden, weil die körperliche Wucht hier eine ausschlaggebende Rolle spielt. Im Sprint aber oder im Langlauf, beim Springen hoch und weit, beim Bodenturnen oder am Barren und Reck oder beim Eiskunstlauf sieht dies doch völlig anders aus. Und hier stehen doch gerade die stählernen, nicht derart ausladend gebauten Athleten im Vordergrund. Wie im Rennsport beispielsweise ein Oleander, eines der besten deutschen Rennpferde überhaupt, mit schmaler Brust. Oder wie Halla, die Springwunderstute beispielsweise. Das Pferd braucht heute nicht mehr eine überdimensionale Wucht. Es zieht keine Lasten, sondern hat nun mal ganz andere Aufgaben. Dies sollte einer revolutionären Erkenntnis dienen, wo immer noch Opas Vorstellungen andachtsvoll vom Tonband abgehört und unkritisch weiterverfolgt werden. Konstruktionsmerkmale Wer der Erkenntnis folgt, dass das Gebäude sinngemäß in erster Linie formale Umrisse aufzeigt und somit vorwiegend durch starre äußere Begrenzungen gekennzeichnet wird, ist logischerweise gehalten, in diesem Bild lediglich Anhaltspunkte zu sehen. Denn im Gegensatz zu einem Gebäude ist ja das Pferd beweglich und bewegungsfähig. Also abhängig in erster Linie von konstruktionellen Werten, die in unterschiedlicher Qualität einen Reit- und Leistungsgebrauch ermöglichen. Da ist zunächst die Sattellage zu bewerten. Denn sie ist die Voraussetzung dafür, dass der Reiter bequem und zweckmäßig sitzen kann. Hiermit fängt ja schließlich das Reiten überhaupt erst an. Auf der Schulter, also vor dem Schwerpunkt und somit auch bar einer Sprungfedermatratze, sitzt es sich schlecht. Auch kommt hier infolge Rippen vorgelagerter Schenkelmisslage der Reiter nicht zum Treiben und hat überdies nicht genug vor sich, sondern zu viel hinter sich. Dieser Proportionsmangel ist umso gravierender, je weniger die Rückenlinie eingetieft ist. Denn ein überdies gerader Rücken placiert den Sattel nicht an einen kargen, vorgeschobenen Widerriss heran, sondern darüber hinweg. In solchem Fall ist das ganze Pferd wertlos, ungeachtet erheblicher anderer Vorzüge in Gebäude und Material. Reell konstruiert ist die Sattellage nur, wenn die Schulter in ausreichender Schräglage das Dach eines möglichst weit in einen eingetieften Rücken auslaufenden Widerists trägt. Erst dann wird der Reiter in den Schwerpunkt gesetzt, hat das Pferd vor sich, kommt in bestmöglicher Schenkellage zum Treiben und zum Reiten. Der Gurt liegt dann etwa eine Handbreit hinter dem Elbenbogenhöcker, ohne zu klemmen oder zu scheuern. Der Rücken ist dann am zweckmäßigsten konstruiert, wenn er einer vorteilhaften Sattellage dient, das Reitergewicht mühelos trägt und die von hinten gebrachten Schubkräfte in ungehemmten Schwingungen nach vorn durchlässt. Diese drei Aufgaben bedingen eine erstklassige Konstruktion, deren Zweckmäßigkeit angesichts des bloßen Gebäudes höchstens mutmaßlich, nicht aber mit Sicherheit festgestellt werden kann. Hier ist wieder ein bestes Beispiel dafür gegeben, wie wenig formalistische Eindrücke besagen, wie leicht sie optischen Fehlbeurteilungen unterliegen. Erst die Auswirkung der konstruktionellen Gegebenheiten offenbart Realität. Die Ausprägung der Dornfortsätze und ihre Verzahnung sieht man nicht am Gebäude, ebenso wenig die dehnenden und streckenden Gewebe zur Schulter- und zum Rippengewölbe. Diese Faktoren miteinander machen das Wesentliche aus, nicht das Schema einer Rückenlinie, so oder so. Da streitet man sich am Gebäude, ob die Rückenlinie zu gerade, zu matt, zu kurz oder zu lang sei. Oder urteilt ganz einfach frech vor sich hin, ohne den Rücken arbeiten zu sehen. Und dehnt solche Fahrlässigkeit möglicherweise auch noch gleich auf die Nierenpartie aus, weil sie nicht so geformt ist, wie das Bilderbuch sie in fälschlicher Schwarz-Weiß-Malerei beschreibt. Tja, wenn das so einfach wäre. Aber so simpel ist die Natur eben nicht, erfreulicherweise. Leider ist aber der Simplicissimus unter Pferdebeurteilern auch noch zu sehr verbreitet. Ein herrliches Pferd haben sie da. Es ist der Sieger! Und der Reiter denkt hinter goldener Schleife, wenn ihr wüsstet, dass dieser formvollendete sich kaum aussitzen lässt. Es ist gerade erst einige Wochen her, als ein sehr typvoller, schicker und korrekter Brauner zur Vorstellung gelangte, seiner eleganten Bewegung allerdings Wiesen auf einen Schenkelgänger. Die Beine bewegten sich also unter dem Körper, nicht aber mit dessen Einbeziehung, vor allen Dingen nicht des Rückens. Das wird vielleicht am Reiter liegen, hoffte man. Denn der Braune bestach ungemein und weckte begehrliche Gefühle. Als der Testreiter im Sattel saß, wirkte das alles schon etwas harmonischer. Hoffnung kam auf. Doch Enttäuschung machte sich breit, als der Reiter abgesessen von einem Brettrücken sprach und einem trostlosen Gefühl da oben. Nicht zu fassen. Noch ein anderer Reiter wurde bestimmt. Tempowechsel wurden geordert. Der Rücken musste doch zur Mitarbeit zu bringen sein. Verkürzte Tritte zeigte der Braune, trug sich groß und blieb taktsauber, trat jedoch nicht weit unter den Schwerpunkt. Aber das würde mit der Zeit schon kommen. So, danke sehr. War’s nicht schon recht gut jetzt, das Gefühl? Es war nicht. Es war überhaupt nicht. Man käme nicht zum Sitzen, meinte der Testreiter. Er habe das nur durch Beweglichkeit seiner Hüften einigermaßen kaschieren können. Und der Hals käme einem überdies rückwärts entgegen. Dieses Beispiel mag zeigen, dass Konstruktionsmängel vom Boden aus leicht übersehen werden können, zumindest ganz leicht einer echten Gewichtung entgehen können, Wenn man ihnen als Beobachter nicht konsequente Beachtung schenkt, so ist dies zugleich auch ein Beispiel dafür, wie leicht immer wieder mal Pferde in der Bewertung zu hoch und in der Platzierung zu weit nach vorne kommen können, obwohl sie eigentlich nicht mal eine Anerkennung verdienen. Die Hinterhand produziert Schub und bewirkt Tragkraft. Ihre Gelenke und Hebel, komprimierend von Muskeln umschlossen, beugend und streckend beeinflusst durch Sehnen und Bänder, haben individuell verschieden ihre eigenen Gesetze. Auch hier gibt es keine Idealform oder Stellung, sondern nur eine Idealkonformität, die allein im Arbeitsvorgang gewertet werden kann. Dennoch und gegen das Erkennen, dass gerade auch der Konstrukteur Natur mit Ausgleichen arbeitet, die oft genug abweichende Formen und Winkel zu größerer Leistung bringen, als dies normierte Merkmale möglich machen, Der Hartmann in der Pferdebeurteilung allzu gern eben doch lieber auf einer Norm und konstatiert dort den Fehler, wo sie der überlieferten Erscheinung nicht entspricht. So moniert man das in der Winkelung gerade Hinterbein, das zu gewinkelte Hinterbein, und befasst sich damit, ob die Kruppe zu schräg sei, zu kurz, zu gerade, die Einschienung nicht breit genug oder das Sprunggelenk nicht ideal geprägt. Man spricht auch vom angedrückten Sprunggelenken, von zu weitgestellten und anderen Merkmalen, mehr ohne die eigentliche Gewichtung darauf zu legen, ob die gesamte Hinterhandsformation als die bestimmende Energiequelle der Fortbewegung in ihrer Trag- und Schubkraft konstruktionell optimal arbeitsfähig ist oder nur ausreichend oder gar ungenügend. Nur wenn man diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund stellt, kommt man der Vorstellung von Reitqualität näher. um die es ja schließlich geht. Dies umso mehr, als es wissenschaftliche Werte über Form, Winkel und Stellungsmaße nicht gibt, sondern in erster Linie gedankenlos übernommene Überlieferungen und Erfahrungen, deren Basis doch vielfach recht schwankend erscheint, mangels sorgfältig selbst beobachteter, durchdachter und analysierter Prioritäts- und Gewichtungsvorstellungen. Vorurteile, nicht selten auf eine bestimmte Abstammung oder ein einseitiges Erlebnis bezogen, führen zu Verallgemeinerungen und verhindern allzu leicht, dass der bewusste Nagel auf den Kopf getroffen wird. Das gerade Hinterbein ist natürlich kein grundsätzlicher Fehler. Das beweisen allein viele Vollblüter in der Rennleistung. Offenbar kompensiert diese verhältnismäßig geringe Winkelung im Sprunggelenk die Geschwindigkeit durch unmittelbares Repetieren der hinteren Extremitäten. Andere Winkel wie Knie, Sitzbein, Hüftgelenk ermöglichen ein besonders tiefes und weites Unterspringen. während das hintere Fesselbein in betonter Länge und Schräglage dem ganzen Bewegungsablauf der Hinterhand ein hochgradig elastisches und weit nach vorn übersetztes Abfußen diktiert. Wesentlich bei diesem durchaus positiven Hebelungsausgleich, und nur hier könnten Bedenken geltend gemacht werden, ist eine ausreichend profilierte Prägung der hinteren Fesselköpfe und Fesselbeine. als Ansatzpunkt, Laufkopf und Schiene für die Sehnen und Bänder, deren unsichtbare Struktur in ihrer Haltbarkeit von breitflächigen Lagerungs- und Spannflächen erheblich erleichtert wird, letztlich aber von ihrer Faserungshärte abhängig ist. Das Sprunggelenk hat zu allen Zeiten eine gewisse Überbewertung erfahren. Nicht dieses Gelenk ist die eigentliche Kraftquelle, sondern das Knie. Das Sprunggelenk ist nämlich nur ausführendes Organ des gewaltigen Kniegelenks, das mittels besonders starker Sehnen über lange und kraftvolle Muskeln den Bewegungsvorgang auslöst und unterhält. Jeder Beuge- und Streckvorgang wird von hier aus bis hinunter zum Fessel- und Hufgelenk automatisch auf das Sprunggelenk übertragen, das die Funktionen des Knies in kontinuierlicher Abhängigkeit gleichzeitig mitvollzieht. Es gilt hier also nur das, was man allen Gelenken wünscht, dass ihre möglichste Breite und Dicke die Sehnensspannung erleichtert. Aber auch hier gilt wieder, das schon für das Fesselgelenke sagte, die Faserqualität der Sehnen und Bänder entscheidet. Und so nützen große Gelenke gar nichts, wenn die Struktur der Sehnen und Bänder nicht straff genug, nicht genügend strapazierfähig ist. In einem solchen Fall erscheint es zweckmäßiger, einem weniger ausgedehnten Gelenk den Vorzug zu geben, wenn nur die Treibriemen hochwertig sind. Diese Wertung deckt sich ohne weiteres mit der Tatsache, dass man schlechte Sprunggelenke gerade bei jener Rasse in Kauf nimmt, die zu allgemeiner Erhärtung und zur Verbesserung von Points und Leistungsfähigkeit in allen Warmblutrassen eingesetzt wird, dem Vollblut. Es begegnen sich in dieser Studie entscheidende Kriterien der Konstruktion und des Materials mit dem Unterschied zu einer überwiegend betriebenen Praxis, dass hier bewusst, weil überzeugt, rein formalistische Vorstellungen und damit oberflächliche und einseitige Materialbegriffe in den Hintergrund gedrängt werden, um Wesentlichkeiten auf die Waage zu legen. Wesentlichkeiten, die in ihrem Nutzeffekt oft genug schwarz-weiß malende Theorien ad absurdum führen. Niemand sollte jedoch annehmen, dass hier auch Merkmalen das Wort geredet werden soll, die in ihrer Normabweichung geradezu karikaturelles oder hässliches in Erscheinung treten lassen. Alles hat seine Grenzen. Sie liegen da, wo eine Zweckmäßigkeit aufhört. Jede Zweckmäßigkeit ist aber meist gleichzeitig mit Begriffen der Ästhetik, der Harmonie und der Schönheit verbunden. Wie alles Natürliche, Insofern ist es verhältnismäßig leicht, bestimmte Grenzen zu ziehen. Natürlich nur dann, wenn man sich über Zweckmäßigkeiten auch wirklich im Klaren ist. Ein langes, hinten ausgestelltes, ausgesprochen krummes oder säbelbeiniges Hinterbein ist ganz sicher nur in Ausnahmefällen auch mal zweckmäßig, kann also getrost als nicht erstrebenswert oder sogar als fehlerhaft eingestuft werden. Solange sich diese Abwägigkeit nicht wieder erwarten, infolge ausgleichender Momente möglicherweise als ein Konstruktionsbestandteil erweist, der Bewegungen oder Leistungen zumindest nicht mindert, sondern eher noch fördert. Man mag hierzu denken, dies hier sei eine Ausnahme auf die Spitze getrieben. Mitnichten. Man vergesse nicht, sie laufen in allen Formen, und man sollte nicht den Fehler machen, Eindrücken von einiger Unwahrscheinlichkeit grundsätzlich ohne weiteres mit Ablehnung zu begegnen. Natürlich darf man nicht so weit gehen, dass man verniedlicht, was wirklich ein Fehler ist. Nur geht es darum, einen solchen Fehler einzuordnen in die Gesamtqualität und ihm dabei nur das Gewicht zu geben, das ihm im Rahmen des Ganzen auswirkungsmäßig gebührt. Der Oberlandsteinmeister von Oettingen vertrat züchterisch sogar die Auffassung, er nehme lieber ein Pferd mit einem gravierenden Mangel und großen Vorzügen als eines mit vielen kleinen, weit geringeren Fehlern in allgemeiner Mittelmäßigkeit. Ersteres könne er paarungsmäßig gezielt viel leichter regulieren und bedeutungsvoll erhalten als das andere. Warum ein hinten eng stehendes und gehendes Pferd angedrückte Spunkgelenke fehlerhaft sein soll, sollten doch jene, die dies konstatieren, erst einmal begründen. Sie könnten ja auch dem lieben Gott bescheinigen, dass er beispielsweise Hirsch und Reh hinten ganz falsch konstruiert habe in ihrer X-Beinigkeit. Sie könnten dabei nur eines nicht, zu dieser Behauptung den Nachweis erbringen, dass dadurch die Schnellkraft verringert würde. Dass ein hinten drehendes Pferd eine Komprimierung tragender und Schub entwickelnder Kräfte mindert, steht dagegen außer Frage. Auch hier gibt es Unterschiede in der Auswirkung, je nachdem, ob es sich um drahtige oder lasche Individuen handelt. Bei einem mechanischen Motor ist die Zündung genauso bedeutungsvoll wie die Initiierung der Bewegungsphasen beim Pferd. Beide sind über ihre gegebene Anlage hinaus bis zu einem gewissen Grade einstellbar oder beeinflussbar. Beim Pferd durch reiterliche Einwirkung, solange dies nicht durch eine menschenkräfteverzehrende Mühewaldung erzwungen werden muss. Es ist nachgewiesen und bedarf offensichtlich keiner kritischen Erörterung, dass der Mechanik der Vorderbeine eine motorische Kraft nicht zukommt. Die Vorderbeine lassen den von hinten kommenden Schub über den Rücken nach vorn heraus und sichern die Stützphase im horizontalen Bewegungsablauf und beim Landen aus unterschiedlichen Flughöhen in springender Betätigung. Dass hierbei die übergangsweise erhebliche Belastung der Vordergliedmassen durch eine konform gerechte Lande- und vor allem Abfußphase der hinteren Extremitäten mehr gemindert wird als bei ungeschmeidiger, nicht-arrhythmischer Folge, dürfte kaum widerlegbar sein. Denn alles Rhythmische beflügelt gleichsam alle Schwung- und Stützphasen, macht also die Last leichtgewichtiger. Darauf, dass bei alledem die Konstruktion der Rückenbrücke wie auch aller sehnigen und muskulären Gurtungen ausschlaggebend ist, braucht hier nicht weiter hingewiesen zu werden, da hierauf in dem Kapitel Zusammenspiel der Kräfte noch besonders eingegangen wird.

[SPEAKER 2]Das war der zweite Teil von Pferdekenner und Fehlergucker, diesem Hörbuch-Klassiker, der morgen in seinen letzten Teil geht. Also, dann gibt’s die dritte und letzte Folge unseres kleinen Podcast-Spezials mit einem absoluten wehorse Hörbuch-Klassiker.

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