Trageerschöpfung beim Pferd: Wenn der Rücken nicht mehr trägt

Ein Pferd mit Symtomen der Trageerschöpfung.
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Du kennst das vielleicht: Dein Pferd wirkt steif, läuft unrund oder reagiert empfindlich auf Satteldruck? Möglicherweise leidest du nicht nur unter Rückenschmerzen nach dem Reiten, sondern auch dein Vierbeiner hat ein Problem – nämlich eine Trageerschöpfung. Dieses weit verbreitete Problem betrifft Pferde aller Rassen und Disziplinen. Doch keine Sorge, mit dem richtigen Wissen und gezielten Übungen könnt ihr gemeinsam wieder durchstarten!

Was ist eine Trageerschöpfung beim Pferd eigentlich?

Eine Trageerschöpfung ist mehr als nur „Rückenschmerzen“ beim Pferd. Sie beschreibt einen Zustand, bei dem die Rückenmuskulatur deines Pferdes – insbesondere der lange Rückenmuskel (Musculus longissimus dorsi) – überlastet und geschwächt ist. Dies entsteht oft durch die fehlende Möglichkeit, dass sich ein Pferd im Training “aufwölbt” – also den Widerrist anhebt. Diese Bewegung ist jedoch besonders wichtig bei unseren Vierbeinern, da nur so die Rumpfträger aktiviert werden können. Das ist essentiell, denn anders als wir Menschen besitzen die Pferde kein Schlüsselbein. Schulter und Rumpf werden lediglich durch Muskulatur, Sehnen und Bänder zusammengehalten. Dieser Trageapparat muss durch gymnastizierendes Training stetig aufgebaut und trainiert werden, damit die Tragfähigkeit des Pferderückens gewährleistet ist. Wenn sie erschöpft ist, kann dein Pferd seinen Rücken nicht mehr richtig aufwölben und die Last des Reiters nicht mehr angemessen tragen.

Ein Sattel auf einem Pferd.
Eine Trageerschöpfung kann unter anderem durch einen schlecht sitzenden Sattel entstehen.

Wie entsteht eine Trageerschöpfung?

Die Ursachen sind vielfältig und oft eine Kombination mehrerer Faktoren:

Falsche Ausbildung und Trainingsmethoden

Das Training unserer Pferde ist ähnlich dem von uns Menschen zu sehen. Muskulatur braucht Zeit, um wachsen und stark werden zu können. Ein zu schnelles Steigern der Trainingsintensität, sowie fehlende Gymnastik in der Grundausbildung können eine Ursache einer schwachen Rückenmuskulatur sein. 

Reiterprobleme

Manchmal sind auch wir als Reiter ungewollt mitschuldig an einem dysfunktionalem Pferderücken, durch einen unausbalancierten Sitz, unsere eigene natürliche Schiefe und dadurch einen zu hohen oder ungleichen Gewichtsdruck, können wir das Pferd in seinem natürlichen Bewegungsablauf blockieren. Ebenso kann dies durch eine übermäßige oder falsche Zügeleinwirkung passieren. Wusstest du, dass dir zum Beispiel die Franklin Methode helfen kann, an deinem Sitzgefühl zu arbeiten? In unserem Artikel zu den Franklin Bällen erfährst du, wie sie wirken. 

Sattelprobleme

Ein schlecht sitzender Sattel kann oft der Ursprung allen Übels sein, liegt er schief auf oder ist gar zu eng, ist die Rückentätigkeit des Pferdes massiv eingeschränkt. Dadurch kann eine Trageerschöpfung entstehen.

Gesundheitliche Faktoren

Einige Pferde haben vielleicht eine höhere Disposition an einer Trageerschöpfung zu erkranken. Veränderungen an der Wirbelsäule wie Kissing Spines, Arthrose oder auch Probleme im Beckenbereich oder an den Hinterbeinen können das Leiden begünstigen oder sogar Grund dafür sein. Wie du deinem Pferd mit einer Wellness-Einheit Gutes für den Rücken tun kannst, erklären wir dir in unseren Kursen. 

Mangelnde Grundkondition

Zu guter Letzt wird eine Trageerschöpfung von Faktoren wie unzureichender Muskulatur, zu wenig Bewegung oder einem starken Übergewicht des Pferdes befeuert. 

Wie erkennst du eine Trageerschöpfung bei deinem Pferd?

Achte auf diese typischen Anzeichen – dein Pferd wird dir signalisieren, wenn etwas nicht stimmt:

Körperliche Veränderungen:

  • Muskelschwund entlang der Wirbelsäule (erkennbar an Mulden neben dem Rücken)
  • Asymmetrische Muskulatur (eine Seite stärker entwickelt als die andere)
  • Gesenkter Rücken statt einer gesunden Aufwölbung
  • Veränderter Muskeltonus (zu hart oder zu weich)

Verhaltensänderungen:

  • Abwehrreaktionen beim Satteln oder Aufsitzen
  • Widersetzlichkeit beim Reiten
  • Schwierigkeiten beim Angaloppieren
  • Unlust bei der Arbeit

Bewegungseinschränkungen:

  • Steifer Gang, besonders zu Beginn der Arbeit
  • Schwierigkeiten beim Biegen oder Stellen
  • Probleme beim Rückwärtsrichten
  • Ungleichmäßige Fußung

Bei der Arbeit:

  • Schwierigkeiten, sich zu versammeln
  • „Auf der Vorhand laufen“
  • Probleme beim Halten der Balance in Wendungen
  • Schwierigkeiten, die Hinterbeine unter den Schwerpunkt zu setzen

Die richtige Diagnose: Expertenrat einholen

Bevor du mit einem Rehabilitationsprogramm beginnst, solltest du unbedingt folgende Fachleute konsultieren. Sie helfen dir dabei einzuschätzen, ob es sich um eine Trageerschöpfung handelt und was jetzt wirklich zu tun ist:

  1. Tierarzt/Tierärztin
    • Kann strukturelle Probleme oder Schmerzen diagnostizieren
    • Röntgenaufnahmen zum Ausschluss von Kissing Spines
  2. Pferde-Physiotherapeut
    • Beurteilung der Muskulatur und Beweglichkeit
    • Erste manuelle Behandlung zur Schmerzlinderung
  3. Pferde-Osteopath
    • Überprüfung der gesamten Biomechanik
    • Behandlung von Blockaden und Fehlstellungen
  4. Sattler
    • Kontrolle der Sattelpassform
    • Gegebenenfalls Anpassung oder Neuanschaffung
Ein Pferd trabt über Cavaletti.
Eine gute Übung für den Rücken deines Pferdes sind Cavaletti.

Übungen gegen Trageerschöpfung beim Pferd

Jetzt wird’s praktisch! Mit diesen gezielten Übungen kannst du deinem Pferd helfen, seine Rückenmuskulatur wieder aufzubauen:

Einstiegsphase: Schonende Mobilisierung

In den ersten 2-3 Wochen solltest du deinem Pferd vor allem Entspannung und leichte Mobilisierung bieten:

  1. Bodenarbeit: Dehnungsübungen
    • Kopf-Hals-Dehnungen durch Leckerlis zwischen die Vorderbeine oder an die Flanken halten
    • Sanftes Stretching durch seitliches Führen mit leichter Biegung
  2. Führtraining mit Halsring
    • Lockeres Führen über Bodenstangen im Schritt
    • Leichte Wendungen auf großen Linien
    • Ziel: Entspannung bei leichter Aktivierung der Rumpfmuskulatur
  3. Schrittarbeit am langen Zügel
    • Lange, entspannte Spaziergänge (15-30 Minuten)
    • Leichte Steigungen bergauf gehen (aktiviert die Hinterhand)
    • Variation des Untergrundes für Propriozeption

Aufbauphase: Stärkung der Kernmuskulatur

Nach der Einstiegsphase kannst du spezifischer an der Kräftigung arbeiten:

  1. Cavaletti-Arbeit im Schritt
    • 4-5 Stangen in unterschiedlichen Abständen
    • Führen oder Longieren über die Stangen
    • Effekt: Aktivierung der Bauch- und Rückenmuskulatur
  2. Bergauf-Training
    • Schritt- und später leichte Trabarbeit an Steigungen
    • Ideal: sanfte Hügel mit 10-15% Steigung
    • Frequenz: 2-3 Mal pro Woche für 10-15 Minuten
  3. Bodenarbeit: Seitengänge
    • Schulterherein an der Hand
    • Schenkelweichen mit leichter Vorwärtstendenz
    • Wechsel zwischen Versammlung und Dehnung
  4. Longenarbeit mit Kappzaum
    • Ohne Ausbinder (wichtig!)
    • Mit Dreieckszügel für leichte Rahmenerweiterung
    • Fokus auf korrekte Haltung statt Tempo

Fortgeschrittene Phase: Komplexere Übungen

Wenn dein Pferd gut auf die ersten Phasen reagiert, kannst du anspruchsvollere Übungen einbauen:

  1. Gymnastikfolgen unter dem Sattel
    • Voraussetzung: Schmerzfreiheit und passender Sattel
    • Beginne mit kurzen Einheiten (10-15 Min.)
    • Fokus auf Übergänge zwischen den Gangarten
  1. Volten- und Zirkeltraining
    • Progressive Verkleinerung des Zirkels (von 20m auf 15m)
    • Kombination aus geraden und gebogenen Linien
    • Wechsel zwischen versammelnden und vorwärts-abwärts Elementen
  1. Cavaletti-Parcours
    • Kombinationen aus verschiedenen Aufgaben
    • Variation der Abstände für unterschiedliche Schrittlängen
    • Einbau von Richtungswechseln zwischen den Stangen

Wir haben in unserem Cavaletti-Guide einige gute Übungen für dich und dein Pferd, die Abwechslung in dein Training bringen können. 

  1. Seitwärtsgänge unter dem Reiter
    • Schulterherein auf gerader Linie
    • Travers und Renvers auf gebogenen Linien
    • Ziel: Aktivierung der schrägen Bauchmuskulatur

Dein 8-Wochen-Trainingsplan bei Trageerschöpfung

Beim 8-Wochen-Trainingsplan gegen Trageerschöpfung startest du mit einer zweiwöchigen Schonphase. Verzichte komplett aufs Reiten und führe dein Pferd täglich 20-30 Minuten im Schritt, ergänzt durch leichte Dehnübungen. Physiotherapie zweimal wöchentlich unterstützt die Regeneration. In Woche 3-4 beginnt die erste Aktivierung mit täglichen Schrittspaziergängen, sanfter Longenarbeit und leichter Bodenarbeit für seitliche Bewegungen. Die therapeutische Begleitung bleibt wichtig. Die Aufbauphase in Woche 5-6 bringt Longentraining mit Cavaletti, erste kurze Reiteinheiten mit Dehnungsfokus und gezieltes Steigungstraining. Achte auf regelmäßige Ruhetage. In der abschließenden Stabilisierungsphase (Woche 7-8) steigerst du die Reiteinheiten auf 20-30 Minuten mit gymnastizierenden Elementen, kombinierst dies mit anspruchsvolleren Stangenübungen an der Longe und ersten ruhigen Ausritten. Eine therapeutische Abschlusskontrolle rundet den Plan ab.

Geduld ist beim Muskelaufbau der Schlüssel zum Erfolg – denn dieser braucht Zeit. Du solltest mindestens mit 3 Monaten rechnen für sichtbare Verbesserungen. Dabei ist es wichtig, lieber kurze und regelmäßige Einheiten zu machen, als zu lange. Weitere gute Tipps zur Stärkung der Rückenmuskulatur findest du in diesem Artikel. 

Ein Pony trabt.
Zur Trageerschöpfung gibt es viele Fragen, wir beantworten dir die Wichtigsten!

FAQ: Häufige Fragen zur Trageerschöpfung beim Pferd

Q: Ist Reiten bei Trageerschöpfung komplett tabu?
A: In der akuten Phase: Ja! Gib deinem Pferd mindestens 2-3 Wochen Pause vom Reitergewicht. Danach kann mit sehr leichter, gezielter Reitarbeit begonnen werden – immer in Absprache mit deinem Therapeuten.

Q: Können spezielle Sättel helfen?
A: Ein perfekt angepasster Sattel ist unverzichtbar, aber kein alleiniges Heilmittel. Während der Rehabilitationsphase können spezielle Sattelunterlagen mit Druckentlastung oder kurzzeitig alternative Reitausrüstung wie ein gut angepasster Barefoot-Sattel hilfreich sein.

Q: Wie oft sollte mein Pferd behandelt werden?
A: Am Anfang empfehle ich eine therapeutische Behandlung 1-2 Mal pro Woche, später alle 2-3 Wochen zur Kontrolle. Nach erfolgreicher Rehabilitation sind monatliche Checks ideal zur Vorbeugung.

Q: Können Nahrungsergänzungsmittel helfen?
A:Ergänzungen mit Magnesium können die Muskelentspannung fördern. Zudem können Omega-3-Fettsäuren und bestimmte Aminosäuren den Muskelaufbau unterstützen. Sprich aber immer zuerst mit deinem Tierarzt!

Q: Ist eine Trageerschöpfung vollständig heilbar?
A: Ja! Mit konsequentem Training und der Beseitigung der Ursachen können die meisten Pferde wieder vollständig belastbar werden. Wichtig ist jedoch, anschließend auf eine kontinuierliche Gymnastizierung zu achten.

Fazit: Mit System zum Erfolg

Eine Trageerschöpfung beim Pferd ist ernst zu nehmen, aber kein Grund zur Verzweiflung. Mit dem richtigen Mix aus Expertenrat, gezielten Übungen und viel Geduld kannst du deinem Pferd helfen, wieder zu einem gesunden, tragfähigen Rücken zu finden.

Denk daran: Jedes Pferd ist individuell, und was bei einem funktioniert, muss nicht bei allen klappen. Höre auf dein Bauchgefühl und beobachte die Reaktionen deines Pferdes genau.

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