Blickschulung: Woran erkenne ich gutes und pferdegerechtes Reiten?

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Es wird Zeit für eine Blickschulung! Denn es hagelt schon seit Jahren Kritik am Dressursport und das nicht immer zu unrecht. Denn zu häufig sieht man auf den Abreiteplätzen zu enge Pferdehälse, exaltiertes Gestrampel der Vorderbeine und gestresste Pferdegesichter. Anja Beran erklärt, was für gesundheitliche Schäden die Pferde davon nehmen können, wie man korrekt und falsch gerittene Lektionen erkennt und wieso sich die Dressur und die Ausbildung der Pferde ändern muss.

Was läuft falsch im modernen Dressursport?

Was läuft momentan falsch im Dressursport und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Pferde? Anja Beran zeigt in ihrem Kurs zur Blickschulung auf wehorse, Fehlentwicklungen im Ausbildungssystem auf. Sie untermauert ihre Kritik mit Animationen, die auf der Basis von echtem Filmmaterial auf internationalen Turnieren entstanden. Verändert wurden lediglich die Silhouetten der Reiter, so dass niemand persönlich angeprangert wird. Das Problem wird schnell ersichtlich: Zu früh und schnell ausgebildete Jungpferde und grobe Fehler in den Lektionen, die häufig nicht als solche gesehen und bewertet werden.

Ihr Vortrag schafft einerseits einen Überblick über die Pferdeausbildung nach klassischen Vorbildern: Was wird wann gelehrt und warum? Und dann werden diese Ausbildungsetappen abgeglichen mit dem, was oftmals auf Turnieren zu sehen ist. Eine Tierärztin erläutert außerdem, was diese Unterschiede in der Bewegung jeweils im Pferdekörper auslösen und welche gesundheitlichen Folgen zu erwarten sind. 

Blickschulung: Woran erkenne ich gutes Reiten?
Besonders an der Piaffe lassen sich Ausbildungsfehler erkennen.

Diese Fehler sieht man am häufigsten auf Dressurturnieren

In den hohen Klassen kann man besonders gut an der Piaffe Ausbildungsfehler erkennen. Wenn man genau hinschaut, kann man die kleinen aber gravierenden Unterschiede bemerken. Denn die unterscheiden zwischen Sinnhaftigkeit und Schaden, die diese Lektion bewirken kann.

Blickschulung für Piaffe
Eine Piaffe aus dem Ausbildungsstall von Anja Beran: Die Kruppe ist abgesenkt, die Nase an der Senkrechten und die Gelenke sind gebeugt und in Richtung unter den Schwerpunkt arbeitend.
Falsch gerittene Piaffe
Eine Piaffe aus einem Beispiel-Turniervideo: Die Kruppe ist hoch, das Bein herausgestellt, die Bewegung erscheint unterbrochen, das Genick ist nicht der höchste Punkt und die Reiterin sitzt hinter der Senkrechten.

Anja Beran zieht im Kurs weitere Beispiele heran, die zeigen, dass international erfolgreich gehende Pferde zum Teil eklatante Bewegungsmuster zeigen. Diese sind jedoch nicht mit korrektem Reiten und Ausbilden vereinbar.

Weitere häufige Fehler sind das längere Verharren eines Hinterbeins in der Luft, als das andere, in der Piaffe und Passage. Ein passartiger Schritt ist ebenfalls häufig zu sehen. Unterbrochene, nicht fließende Bewegungen durch den Pferdekörper und keine Parallelität der Gliedmaßen sind keine Seltenheit im starken Trab. Oft sieht man eine spektakuläre Aktion mit der Vorhand, doch die Hinterhand kommt nur unzureichend mit und sie schiebt nach hinten raus. Zusammenfassend lässt sich sagen: Da werden keine Gelenke mehr ausreichend in der Versammlung gebeugt und das hat eine falsche Belastung zur Folge.

Was sind die Konsequenzen vom schlechten Reiten für die Pferde?

Die Pferde bezahlen mit ihrer Gesundheit: Nach ihrer Analyse kommt Anja Beran zu dem Ergebnis, dass viele Entwicklungen im modernen Sportreiten zu Bewegungsveränderungen geführt haben. Diese sind unnatürlich und belasten die Pferde falsch. Eine Gesunderhaltung des Pferdes ist somit nicht gegeben. Dafür findet sie sehr klare Worte: 

„Wir haben aus der Dressur, aus einer klassischen, natürlichen Ausbildung von einem Tier künstliche, artifizielle Abläufe gemacht, da kommen Bewegungen raus, die ein Pferd eigentlich gar nicht macht, die auch noch mit hohen Noten honoriert werden. Und die Pferde bezahlen dafür mit der Gesundheit!“

Was also zum Beispiel, eine falsch gerittene Trabverstärkung gesundheitlich für das Pferd bedeuten kann, erklärt die Co-Referentin des Vortrags, Tierärztin Elisabeth Albescu: Der Nackenbandzug ist zu stark, was zu Verkalkungen am Ansatz des Nackenbandes führen kann. Dies sei nämlich der Versuch des Körpers, das Nackenband zu verstärken. Dies wiederum führe zu weniger Beweglichkeit im Genick und damit langfristig zu Schmerzen für das Pferd.

Anja Berans Blickschulung
Ein wichtiges Ziel bei der Ausbildung ist das Beugen der Gelenke.

Blickschulung: Wie sieht gutes und pferdegerechtes Reiten aus?

Das Beugen der Gelenke ist ein ganz wichtiges Etappenziel bei der Ausbildung: Daher soll zum Beispiel korrektes Rückwärtsrichten, Gewicht auf die Hinterhand bringen, erklärt Anja Beran. Durch die diagonale Bewegung ist diese Lektion außerdem eine ideale Vorbereitung für die Piaffe.

Dieses Beispiel soll verdeutlichen, dass Dressurlektionen immer einen Sinn haben sollen und aufeinander aufbauen. Sie verfolgen das Ziel der Gymnastizierung und Stärkung des Pferdes und dienen keinem Selbstzweck. Daher baut Anja Beran sehr gerne Seitengänge in das Training ihrer Pferde ein, um die Geschmeidigkeit in den Rippenpartien zu verbessern und das Pferd spielerisch mit der Hinterhand ans Untertreten heranzuführen.

In allen Lektionen sollte das Genick der höchste Punkt sein, die Ganasche offen und die Gelenke leicht gebeugt, so dass das Pferd vorn groß und hinten abgesenkt wirkt. Es soll sich locker und fließend bewegen, mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Gutes Reiten fühlt man allerdings auch, denn ein zufriedenes Pferd bietet sich gerne dem Reiter an und verfügt über Durchlässigkeit.

Pferdegerechtes Reiten und Ausbilden
Anja Beran kritisiert, dass junge Pferde zu früh und zu viel geritten werden.

Das läuft falsch in der Ausbildung junger Dressurpferde

Schon bei der Grundausbildung, sind die Unterschiede gravierend zwischen dem, was in den Richtlinien steht und was klassische Ausbilder wie Anja Beran praktizieren.

Sie kritisiert, dass die jungen Pferde prinzipiell zu früh und zu viel geritten werden. Dreijährige sollen ausschauen wie Sechsjährige, beanstandet sie. Die Pferde würden häufig mit der Hand in eine Haltung manipuliert und spektakulär vorgestellt – auf Kosten der Gesundheit und der reellen Ausbildung. Eckpunkte, die eine reelle Grundausbildung garantieren, sind für sie unter anderem: Dass das junge Pferd keine sich widersprechenden Hilfen erfährt (kein vorn halten und hinten Druck machen!) und dass keine Hilfszügel eingesetzt werden. 

Häufig jedoch seien Jungpferde zu eng eingestellt und mit der Hand in eine Form manipuliert. Wie schädlich das ist, erklärt Tierärztin Elisabeth Albescu. Sie erläutert was im Körper des Pferdes passiert, wenn die Pferde zu früh zusammengestellt werden: Wenn der Hals nicht als Balancierstange genutzt werden kann, hält nämlich das Nackenband passiv das Gewicht, und Muskelverspannungen sind erst der Beginn eines Teufelskreises.

So macht’s Anja Beran

Ein typisches Programm für einen Dreijährigen bei der Ausbilderin für klassische Dressur, wären: Drei Mal die Woche zehn Minuten Reiten unter einem leichten und routiniertem Reiter. Das Pferd darf dabei den Hals als Balancierstange nutzen, es wird in keiner Weise in eine Haltung gezwungen. Sie berichtet, dass die Reaktion auf eine solche Hals-Kopf-Position auch schon mal solche wären: „So können wir das Pferd aber nicht verkaufen, der geht ja noch nicht mal am Zügel!“ 

Ihre Entgegnung daraufhin: „Stimmt, der darf auch langweilig daher traben, mehr braucht er nicht als Dreijähriger!“

Die Ausbilderin spricht sich dagegen aus, dass das Produkt Pferd dem Markt angepasst wird – so wie es inzwischen gängig ist: „Das Pferd muss in eine Form gebracht werden mit Strampeltritten, mit einer Aufrichtung, die ihm noch nicht zusteht, damit der Kunde, der Markt bedient wird!“, sagt sie.

Pferde gesunderhaltend und zufrieden reiten ist das Ziel
Anja Beran ist die Aufklärung in der Reiterwelt wichtig.

Darum ist Blickschulung so wichtig

Aber was tun? Anja Berans Rat: Die Reiterwelt aufklären, damit mehr Menschen erkennen können, wie ein dreijähriges Pferd gehen darf.

Genau diese Aufklärung ist es, um der es der Ausbilderin in diesem Kurs geht. „Wenn es nur noch darum geht, die Beine höher zu reißen, spektakulär zu wirken, und die Pferde danach immer früher verschlissen sind, dann stimmt irgendwas nicht mehr!“, sagt sie. 

Und hier kommen alle Reiter ins Spiel: Es liegt auch in der Verantwortung von Nicht-Profis, gutes Reiten zu erkennen und schädliches Reiten als solches wahrnehmen zu können. Daher ist eine Blickschulung nicht nur für die Richter von Dressurturnieren sehr wichtig, sondern für alle: Zum Wohle der Pferde!

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